Ach, was war ich zufrieden. Tagelang hatte ich unerklärliches Material entfernt, gekratzt, geschliffen, mit Epoxi aufgefüllt, geschliffen, gespachtelt, geschliffen, geschliffen, geschliffen, nochmal geschliffen und schließlich lackiert. Nun sollte das dicht sein und es sah auch viel besser aus. Denkste! Es sollte nur vier Wochen dauern, bis silbernes Gaffertape als Rettungmaterial zum Einsatz kommen musste. Die Fenster waren wieder undicht. Gaffer half.
Torte wurde Anfang der 80er in einem Berliner Verein am Müggelsee von Günther S. gebaut. An diesem Boot sieht man überall, dass Torte, damals hieß sie noch "Lagena", offenbar so eine Art Familien-Lebenstraum war. Wenn man einen Traum hat, verliebt man sich in Details. Und Torte hat viele kleine Details. Manche verbessern das Leben an Bord, andere sollen der Sicherheit oder Seemannschaft dienen. Günther S., mittlerweile verstorben, hatte mit dem Boot - für DDR-Verhältnisse - einiges vor. Das lässt sich anhand der alten Seekarten erkennen, die ich mit dem Schiff überreicht bekam. Günther S. war offiziell Lehrer. Er muss jedoch ein besonderer Lehrer gewesen sein, denn wer zur Zeit des eisernen Vorhangs das Gebiet nördlich Rügen befahren durfte, der brachte sicherlich nicht nur Kindern das Rechnen bei. Für solche Touren stattete er sein Werk auch aus. Das Boot sieht an manchen Stellen aus, als hätte es ein Lehrer gebaut, dann wieder, als hätte Bobby Schenk höchstpersönlich Hand angelegt, denn der Heckkorb beispielsweise würde sich auch für Kap Hoorn Rund eignen. Andere Stellen dagegen würden selbst für eine Alsterüberquerung nicht reichen, bzw. sie nicht überstehen.
Ich habe viel über Günther S. nachgedacht. Und bin, wo ich das nun Boot sehr gut kenne, zum Schluss gekommen, dass er - wie sehr viele Selbstbauer - irgendwann Gas gegeben hat, weil er endlich ins Wasser wollte. Teile des Schiffes sind sehr penibel gebaut, andere regelrecht hingerotzt. 36 Jahre nach dem Bau bekommt man die Quittung. Das Dumme daran: Ich bekomme sie. Denn das Refit braucht doch mehr Zeit und Arbeit, als ich zunächst dachte.
Mein Plan war im vergangenen Frühjahr, am Anfang nicht zu viel dran zu machen. Ich wollte erst einmal in einem ausgedehnten Bootsurlaub sehen, wo die Schwachstellen sind. An Land findet man die nicht alle. Am Wichtigsten erschien mir, das Boot erst einmal urlaubstauglich zu machen. In einem Artikel im floatmagazin kann man das Urlaubsrefit nachlesen. Nun weiß ich auch, was wirklich zu tun ist. Im Einzelnen:
Dichtigkeit
"Gebogene Plexifenster auf Holz sind keine gute Idee." Bernd Helmers vom Wassersportzentrum Alte Feuerwache in Brandenburg an der Havel kennt sich mit Jollenkreuzern aus wie kaum ein anderer. Er sollte mit seiner Einschätzung recht haben. Denn als der erste große Regenguss kam, war es mit meiner Dichtigkeitsarbeit auch schon wieder vorbei. Die Fenster waren in den Jahren zuvor immer wieder abgedichtet worden. Womit weiß niemand. Man findet dort Schichten aus: Sika, Silikon, Acryl, eine schaumige Masse und eine Masse, die auch Schweinehack sein könnte. Nichts von dem Zeug half. Nachdem ich die Scheiben mit Epoxi festgeklebt hatte, war meine Dichtigkeitsprüfung (Eimer Wasser drüber) zunächst zufriedenstellend verlaufen. Tagelang, ja wochenlang klebten die Fenster schön dicht am Aufbau. Als sich jedoch die Temperatur einige Grad Celsius veränderte, sah ich schon wieder erste kleine Risse. Das Holz arbeitet ständig und die Fenster machen das auf Dauer nicht mit.
Mir bleibt also nicht anderes übrig, als sie ganz zu entfernen und mit Rahmenfenstern zu ersetzen. Früher waren genau so welche drin, aber die wurden irgendwann durch aufgeschraubte Plastefenster ersetzt.
Nach langem hin und her habe ich auch beschlossen, das Holz am seitlichen Aufbau drin zu lassen, aber mit ein paar Lagen Matte und Epoxi für immer zu versiegeln. Ich möchte da Ruhe haben und das erscheint mir die richtige Lösung. Optisch wird das gut aussehen, denn ich habe bereits ein Farbkonzept (also eigentlich hat Anja das) für den Anstrich des Aufbaus.
Vorschiff
Das aufwändigste Projekt an Torte wird das Vorschiff sein. Dort, an der Verbindung zwischen Aufbau und Deck ist eine Menge zu tun. Bei vielen Jollenkreuzern ist das eine Problemstelle. Auch dort ist so eine Plexischeibe drauf. Das Schiff muss jedoch schon vorher undicht gewesen sein, denn die seitlichen Holme aus Holz sind ziemlich verrottet. Das Deck ist davor wie eine kleine Hohlkehle, das Wasser läuft nicht ab, staut sich, zieht ins Holz und von dort weiter ins Schiff. Nach 36 Jahren sieht es dort überall entsprechend aus. Vor allem ist das Deck davor weich.
Innen ist das Vorschiff zunächst mit einer zehn Zentimeter dicken Lage Styropor gedämmt, darunter dann mit Sperrholz verkleidet. Das rupfe ich komplett raus.
Von unten werde ich dann sogenannte Prisma Composite Beams anlaminieren. Link auf Von der Linden. Diese werde ich mit Spannstützen ordentlich unter Spannung bringen, so dass sich das Deck ein wenig nach oben wölbt und das Wasser ablaufen kann. Die Verkleidung und Dämmung landet auf dem Recyclinghof. Ich lackiere das von unten nur, mehr kommt nicht drunter. Das sieht schön aus und vor allem habe ich dann mehr Platz im Vorschiff. Wenn man ein Alter erreicht, in dem man beim Hinlegen Geräusche macht, ist Platz nie das Schlechteste.
Danach wird der Aufbau oben angepasst und zulaminiert, ein Rahmenfenster eingebaut und dann sollte das fertig sein.
Anmerkung: Lesen und schreiben tut sich sowas gut. Um ehrlich zu sein, habe ich etwas Bammel vor der Umsetzung. Falls Bernd hier mitliest: Du wirst meine fragende Fratze diesen Winter recht häufig sehen.
Motor
Der 14 PS Ruggerini-Diesel, wir nennen ihn "Ornella", wurde 1996 von einem Fachbetrieb eingebaut. Vorher war - ganz DDR-Style - ein Wartburg Motor drin. Auch da gibt es viel zu tun. Die Lichtmaschine ist zu groß. Man kann den Keilriemen weder spannen noch entspannen. Das ist derzeit egal, weil sie eh kaputt ist. Die elektrischen Anschlüsse sind so dermaßen hingefrickelt, dass man sich wundert, wie das funktioniert. Alles wackelt und zittert, wenn man Ornella startet. Ich bin immer froh, wenn ich Drehzahl geben kann, weil es dann ruhiger wird. Die Kühlwasserschläuche sind eigentlich für Gartenlauben gedacht gewesen, nicht für Boote. Das muss alles neu.
Ich habe dieses Jahr schon vieles erneuert, wie Kraftstoffschläuche, Vorförderpumpe, Dieselfilter und Einspitzdüsen. Unterwegs ist ständig die Drehzahl abgesackt, was durch eine umgebaute, neue Vorförderpumpe behoben ist. Aber ich habe Ornella nie vertraut. Auf der Havel und den Seen hier ist das nicht so wild, aber wir wollen auch mal auf die Ostsee oder über die Elbe nach Hamburg. Da wäre ein Diesel, der sich nicht wie eine Italienerin verhält, ganz gut.
Elektrik
Ich kenne mich mit Elektrik überhaupt nicht aus. Bei "Ampere" denke ich an einen Rotwein aus der Region nördlich der Pyrenäen (musste grad googeln, wie man das schreibt). Aber langjährige Erfahrung aus den Siebzigern, in denen ich als Kind eine 6x4 Meter große Sperrholzplatte in eine wirklich tolle Modelleisenbahnlandschaft mit elektrischer Seilbahn verwandelte, lässt mich erkennen, dass Tortes Elektrik keine ist.
Es sind wild gespannte Kabel mit falschen Querschnitten und teilweise sehr DDRiger Verbindung. Ich habe sie komplett still gelegt. Die Starterbatterie bekommt ihren Strom nun aus einem Solarpanel, welches ich am Heckkorb angebracht habe. Das funktioniert erstaunlich gut. Ich musste nicht einmal das Ladegerät an den "Landstrom" anschließen. Im kommenden Jahr jedoch soll alles wieder laufen. Ich habe noch keine Idee, wie ich das hinkriegen soll.
Das einzige, was erhalten bleiben soll, ist die wundervolle deutsche demokratische Achterkammerbeleuchtung. Eine Glühbirne, die mal ein Salzstreuer war.
Der Rest
Der Rest ist der übliche: Schleifen, schleifen, schleifen, lackieren, schleifen, lackieren usw. Es ist allerdings ziemlich viel Rest. Und dieser Rest: Deck will lackiert werden, vorher muss der Baumarktlack runter. Im Innenraum warten viele Holzflächen auf Schleifpapier und Lack. In der Pantry wird die Holzfolie abgezogen, das Sperrholz werde ich ersetzen müssen. Das Unterwasserschiff muss ich mal abziehen und neu aufbauen. Soll heißen: Der heilige Epifanes wird hier lange sein Unwesen treiben.
Die Zeit
Einen riesen Vorteil habe ich: Torte steht nur rund 400 Meter von meiner Wohnung und dem Büro entfernt. Ich kann als im Prinzip jeden Tag nach Feierabend (oder davor) am Boot arbeiten. Ich kann das aber einschätzen. Boote sind irgendwie wie der BER - man wird nie so schnell fertig, wie man denkt. Ich habe den Plan, nur so viel dran zu arbeiten, dass Anja meinen Vornamen nicht vergisst.
Die Angst
Angst. Ich weiß nicht, ob es das richtige Wort ist. Ich habe drüber nachgedacht. Zwischendurch war ich bei "Respekt" angekommen. Ich weiß aber: spätestens, wenn ich unter Deck die Dämmung raus rupfe, werde ich sicher auch ein kleines bisschen Angst haben, es zu vergeigen. Ich werde berichten. Torte kommt bald aus dem Wasser, damit ich bei den lauen Temperaturen schon arbeiten kann.
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Die Motivation
Wir haben uns in diesem Jahr in Torte reinverliebt. Dieses Boot hat so viel Charme. Es hat es verdient, wieder das zu erfüllen, wozu es mal gedacht war: Wunderbare Zeiten auf dem Wasser.
Lieber Thorsten. Das freut mich. Ich geb mir weiterhin Mühe. Grüße
Großes Lob in Bezug auf die Qualität der Beiträge. Die Benachrichtigung über neue Beiträge per Email ist zudem ein toller Service und funktioniert perfekt. Ich freue mich schon auf die nächsten Beiträge.👍 VG