Das erste Mal. Sie hieß Gisela. Das war im April. Gisela ist ein 20er Stahl-Jollenkreuzer, liegt im Winter in Brandenburg an der Havel, gleich neben Torte und verbringt ihre Sommer auf dem Hohenauer See. Das sind die Havel runter etwas über 30 Seem.. äh, 60 Kilometer. Gisela haben Anja und ich im Frühjahr ins Sommerlager gebracht. Es war das erste Mal, dass ich in diesem Revier hier überhaupt unterwegs war.
Gestern stand dann die Rücküberführung der hübschen Dame an. Auf dem Weg liegen zwei Schleusen, die Havel strömt ganz leicht gegenan und so hatte ich ausgerechnet, dass es ungefähr von Sonnenauf- bis Untergang gehen sollte. Tageslicht gibt es zu dieser Zeit noch rund 10 Stunden. Bei einer Durschschnitts-Geschwindigkeit von 8-10 Km/h sollte sogar noch ein Kaffee-Stopp bei Mirko in Pritzerbe drin sein. Pritzerbe und der unglaublich freundliche und tolle Hafenmeister Mirko sind auf unserem Sommertörn zu unserem absoluten Lieblingsplatz auf der Strecke geworden.
Samstag, fünf Uhr früh.
Hier bei uns in der Region um unsere Heimatstadt klappt das mit dem ÖPNV ziemlich gut. Züge nach Berlin fahren alle dreißig Minuten. Morgens sogar alle zehn. Wir aber müssen zunächst nach Rathenow und von dort mit dem Bus weiter nach Hohenauen. Ich war ziemlich verwundert zu sehen, dass der Bus auch am Wochenende verkehrt. Und vor allem so früh morgens. Da wir zunächst den Hohenauer See durch einen schmalen, etwa 1 Kilometer langen Kanal zur Havel verlassen, brauchen wir dort etwas Licht. Deshalb klingelt der Wecker am Samstag früh um fünf (5!) Uhr, dann in den Zug, dann in Rathenow umsteigen und um halb 8 sollte es mit den ersten Lichtfetzen losgehen.
Klappt: Pünktlich erreichen wir den Steg, machen kurz das Boot klar und fahren in den Sonnenaufgang.
Abenteuer Schleusen
In ein paar Tagen bin ich hier bei uns beim Bürgermeister eingeladen. Bei einem Branchentreff zum Thema "Wassertourismusförderung" halte ich einen Vortrag über die ADAC-Hafendatenbank, für die ich als sogenannter "Inspekteur" tätig bin. Ich würde nach gestern sehr gerne auch über die Schleusen reden. Die sind hier ein echtes Abenteuer. Nicht weil ich Schleusen aufregend oder besonders herausfordernd finde, sondern wegen der Betriebszeiten und dem drumherum. Ab nächste Woche wäre es nicht mehr möglich, an Wochenenden die Überführung zu machen, weil dann die Schleusen Samstags und Sonntags geschlossen sind. Gern stellen sie wegen irgendwelcher Gründe aber auch in der Saison mal den Dienst ein. Deshalb sollte man sich immer auf dem ELWIS-Portal drüber informieren. Dort sind die Angaben teilweise sehr kapriziös:
Nach 13 Kilometern erreichen wir die große Hauptschleuse von Rathenow. Die Stadtschleuse, die eigentlich für den Sportbootverkehr vorgesehen ist, hat seit Ende September zu. Das allerdings macht Sinn, weil der Wasserstand dann immer wesentlich höher ist und man dann unter der Brücke dahinter kaum noch durchkommt. Die große Hauptschleuse ist für kleine Boote dagegen recht tricky, denn die Schleusenwände sind sehr schräg und die Poller darin erreicht man erst, wenn man einen dreistöckigen Motor-Eimer fährt. Zum Glück aber gibt es (eigentlich) Seile und zur Not noch die Leitern.
Als wir die Schleuse erreichen, rufe ich an. Sofort ein Besetztzeichen. Die Lichter zeigen doppelt rot nebeneinander. Das ist gut, denn übereinander wäre sie zu. So ist sie wenigstens in Betrieb. Nur erreichen wir niemanden. Es geht einfach nicht. Sofort nach dem Wählen ertönt ein Tüt-tüt-tüt-tüt...
Ich tüdel Gisela erst einmal notdürftig an einer hohen Spundwand an. Anja und ich versuchen immer wieder, jemanden an die Strippe zu kriegen. Nach einem Telefonat mit der Schleuse Brandenburg gibt es Aufklärung: Die Telefonanlage ist offenbar schon seit Tagen kaputt und niemand erreichbar. Der nette Herr aus "Branne" informiert die Leitstelle und gleich danach dürfen wir einfahren. Die sonst so praktischen Seile sind bereits entfernt (warum auch immer) so dass wir an der glitschigen Wand nur eine Leiter erwischen. Ich halte beim Einlaufen des Wassers das Boot mit einer Leine, Anja hält es mit dem Bootshaken von der Wand weg.
Niemand ist heute unterwegs. Nur ab und zu sieht man ein paar Angler, die am Ufer gezeltet haben und auf ihren Feuern Kaffee kochen. Boote? Fehlanzeige. Warum auch? Ich würde hier als Charterer mit Hausboot oder Motoryacht wegen der schlechten Informationen auch nicht mehr lang fahren. Außerdem ist die Rathenower Schleuse für ungeübte fast nicht zu machen. Mit einem Hausboot würde ich da nicht mehr reinfahren, wenn die Halteseile fehlen. Später, nach der letzten Schleuse, sehen wir noch ziemlich viele Hausboote fahren. Die allerdings drehen an der Schleuse alle wieder um. Aus unerfindlichen Gründen sind die Wartebereiche, wenn überhaupt vorhanden, so kurze Stege, dass im Glücksfall vielleicht zwei Boote dran können. Da geht kaum einer ran. Davor stehen riesige Duckdalben, die für Ungeübte nicht einladend sind.
Nach der Schleuse wird mir klar, dass die Zeit knapp werden dürfte. Giselas Motor zickt etwas. Es gibt nur eine Drehzahl, bei der er ohne knallende Fehlzündungen arbeitet. Damit würden wir so etwa 8 Kmh Fahrt machen. Allerdings ist die Strömung heute etwas stärker als ich das hier kenne und natürlich kommt der etwa 15-20 Knoten Wind meistens genau von vorn. Nur wenn die Havel mal in die andere Richtung mäandert, kommt er auch mal kurz von hinten. Ein Blick auf das Handy gibt Aufschluss: Wir machen 6 Kmh im Schnitt. Das klappt so niemals mit Brandenburg heute.
Also weiter. Egal. Was folgt: unglaublich schöne Stunden auf dem Wasser mit Gisela. Wir sehen Biber, Adler und unzählige Reiher. Machen Picknick, genießen die herrliche Zeit und wenn der kalte Wind mal nicht an den Bäume am Ufer vorbei kommt, auch die Sonnenwärme. Das Licht im Herbst ist wundervoll. Ich lasse die folgenden Bilder mal für sich sprechen.
So schlecht unsere Geschwindigkeit auch für das Ziel ist, so schön ist es unterwegs. Ich liebe Langsamkeit! Wir sprechen kaum, wir genießen nur. Irgendwann fällt mir auf, dass ich der einzig Wache an Bord bin. Polly und Anja sind eingeschlafen. Was für ein herrlicher Tag.
Endgegner
Gegen 14 Uhr wartet der Endgegner: Die Schleuse in Bahnitz. Es gibt noch alternativ eine Kahnschleuse nebenan, die ich noch nie genommen habe. Dort würden wir auch reinpassen, ich will dennoch durch die große Schleuse, weil manuelles Schleusen recht lange dauert. Man muss halt alle Tore selbst bedienen. Und wer weiß, ob schon jemand drin steht.
Also lege ich vor der Schleuse an. Die Telefonnummer ist die von Rathenow und da geht ja das Telefon nicht. Deshalb nehme ich den Weg über die Gegensprechanlage. Ohne Kommunikation bewegt sich hier gar nichts. Letztes und vorletztes Jahr, als ich in nach London gesegelt und dabei auf der Staande Mast Route gelandet bin, ging jede Brücke und jede Schleuse von ganz allein auf, sobald man sich näherte. Alle Anlagen sind Videoüberwacht. Taucht einer auf, wird reagiert. Auch hier gibt es Videokameras, aber dort scheint wohl kaum jemand drauf zu schauen. Oder es wird geschaut, aber nicht drauf reagiert. Nun also die gute alte Gegensprechanlage.
Tatsächlich meldet sich jemand. Nach meiner Bitte, bergauf schleusen zu dürfen, kommt die Antwort: "In einer halben Stunde geht es weiter." Das ist zwar okay - aber warum? Es ist alles völlig leer. Niemand will zu Tal. Wartet dort jetzt jemand aus Prinzip 30 Minuten und drückt dann auf einen Knopf? Irgendwann öffnet das Tor und wir sehen grün. Auch in dieser Kammer sind die Seile bereits entfernt worden. Es gibt hier aber gut erreichbare Poller. Als die Schleusentore auch nach einer Weile nicht schließen, gehe ich davon aus, dass noch jemand bergauf will und die darauf wartet. Es kommt aber niemand. Irgendwann macht das Tor dann zu und wir fahren hoch. Also wartet da in der Leitzentrale offenbar jemand und drückt nach einer längeren Zeit erneut einen Knopf. "Wassertourismusförderung."
Durch diese Wartezeit ist unser Plan, noch bei Tageslicht vom Breitlingsee in die Brandenburger Niederhavel zu gelangen und dann zum Liegeplatz, nun endgültig dahin. Ich rufe als Mirko an, teile ihm mit, dass unser Kaffee-Treffen zwar stattfindet, wir aber das Boot dann dort auch gleich parken. Von Pritzerbe geht ein Zug nach Hause und so passt das gut. Ein paar Kilometer weiter erreichen wir schließlich am Nachmittag Pritzerbe, trinken einen Kaffee, essen mit Mirko Stollenkonfekt und fahren anschließend heim. Meine Saison ist also noch nicht ganz zu Ende. Dienstag geht es auf die letzten 25 Kilometer. Und auch wenn es kalt werden soll, freue ich mich drauf. Schleusen gibt es auf dem Weg zum Glück keine mehr.
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